fleiß verdirbt den charakter

liebe hanna,

morgen gehts wieder los mit der traditionellen ostersause und so jagt ein family-feier-event den nächsten. dazwischen bleibt mir aber noch immer jede menge zeit dem müßiggang zu fröhnen – auszeit, baby! das mit dem müßiggang will aber gelernt sein, und sich aus dem täglichen hamsterrad zu befreien klingt leichter als es ist. mir ist schon klar, das ist jammern auf allerhöchstem niveau, aber es ist schon spannend wie sehr wir darauf getrimmt sind „etwas weiter zu bringen“, „unsere pflicht zu erfüllen“ und uns am ende des tages sagen zu können, dass wir etwas nützliches vollbracht haben. ich für meine teil muss mir immer wieder in erinnerung holen, dass die pause, das ziellose herumtreiben erst den raum entstehen läßt um einerseits bei mir selber zu landen und andererseits neue ideen und perspektiven entstehen zu lassen.

kinder!

bei kindern ist ja oft dieses phänomen beobachtbar: sie hängen gelangweilt in der gegend rum und wissen nichts mit sich anzufangen. falls sie das glück haben, dann nicht von übermotivierten eltern mit angeboten überschüttet oder von betreuerInnen bespielt zu werden, kommen ihnen dann oft gerade in diesem vakuum die besten ideen. bei mir ist es nicht anders. ich hätte mich garantiert nicht auf das vegan-experiment eingelassen, wenn ich nicht gerade reichlich zeit und lust gehabt hätte beim kochen und essen mal über den eigenen tellerrand hinauszuschauen. und es hat nochmal monate gebraucht, bis ich mir ernsthaft vorstellen konnte überhaupt in erwägung zu ziehen ein eigenes business daraus zu machen. jetzt bin ich schon sehr neugierig wo mich all diese überlegungen und ideen noch hinführen werden. was werde ich verwirklichen und was landet wieder in der mottenkiste? ich weiß es noch nicht und ich muss es auch nicht wissen. die gedanken fließen auf jeden fall freier, wenn sie nicht immer in vorgezeichnete bahnen gelenkt werden und vor allem, wenn sie nicht gleich zwangsläufig zu einem ziel, einer entscheidung oder einem ergebniss führen müssen.

bücher!

trotz all dieser überlegungen passiert es mir immer wieder, z.b. vorgestern, dass ich am nachmittag mit einem buch im bett herumgammel und vor meinem geistigen auge den bisherigen tag vorüberziehen lasse.  Frühstück um 10, dann die letzten partyspuren aus der wohnung beseitigt. ein paar mails gelesen, spaziergang in die bücherei und mit dem neuen buch zurück ins bett. „wohin soll das führen?“ frag ich mich dann. wenn ich so weiter mach wird noch ein fauler sack aus mir. und wenn ich schon rum lieg und les, können es dann nicht wenigstens geistreiche bücher sein? ich wollte längst c.g.jung oder foucault lesen, und statt dessen halt ich einen kaminer in der hand. bezeichnender weise „mein leben im schrebergarten“. und in mitten dieser überlegungen – manchmal passierts mir nämlich dass ich lese und denke gleichzeitig – stolpere ich in seinem buch über folgende passage:

henry thoreau hatte sicher mehr ausdauer und entschlossenheit als ich. er war aber auch ziemlich durchgeknallt – verbrachte sein leben ohne wein und frauen, predigte enthaltsamkeit und bezeichnet faule menschen als unreine wesen. ich bin dagegen der meinung, dass der faule manchmal mehr erkennt, während sich der fleißige in seinem ständigen tun bloß untergräbt. außerdem sind fleißige menschen dauernd schlecht gelaunt, weil sie glauben, unterfinanziert zu sein. die fleißigen haben in der regel einen überempfindlichen sinn für gerechtigkeit. das macht sie zu schwierigen menschen. sie haben ständig das gefühl, von anderen hintergagen zu werden, die viel weniger arbeiten oder gar nichts tun und trotzdem mehr kriegen. fleiß verdirbt den charakter.

war natürlich passend wie die faust aufs aug und auf einmal war ich doch der meinung, das richtige buch in händen zu halten. was für mich aber wirklich der springende punkt ist, ist die tatsache, dass einige leute in meinem umfeld erst in zeiten des rückzugs und nichtstuns für sich herausfunden haben wohin sie gehen und was sie tun wollen. und das gerade auch dann, wenn sie die auszeit an sich subjektiv als totale stagnation erlabt haben.

kinder?

vorgesehen ist es allerdings nicht, sich nach lust und laune treiben zu lassen und ziellos herumzuprobieren. wenn wir glück haben, wird uns das in der kindergartenzeit noch gestattet, aber spätestens in der schule ist schluss damit und gerade in meiner jetzigen situation find ich das zunehmend absurd. s. geht grad nicht besonders gern in die schule. sie ist zwar in einer mehrstufenklasse und ihre lehrerinnen sind sicher eher dem progressiven lager zuzuordnen, trotzdem ist ihr oft fad und es gibt nicht den raum um dann ihren eigenen impulsen zu folgen. „ich freu mich schon voll darauf wenn wir endlich dividieren lernen, aber ich darf das jetzt noch nicht machen.“ n. hingegen geht relativ gern in die schule, er verbringt gern zeit mit seinen mitschülerInnen und freunden und mag auch die meisten seine lehrerInnen, aber einiges interessiert ihn gar nicht, und zu hause was für die schule zu tun ist überhaupt völlig öd für ihn. was mach ich dann? komm ich ihm mit „pflichterfüllung“ und „streng dich an“? ist es nicht reichlich absurd, dass wir jahre damit verbringen zu lernen und uns damit abzufinden dinge zu tun die uns nicht interessieren, um dann hinterher jahre damit verbringen herauszufinden, was wir  wirklich tun wollen und womit wir uns tatsächlich zum ausdruck bringen können? muss ich das hamsterrad kennen, um aussteigen zu können?

nachdenklich,

deine lesterschwester

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