andererseits…

liebes schwesterlein,

grad hab ich nochmal unsere dichtness-konversation gelesen, und da hat sich mir die frage aufgedrängt, warum mein leben trotzdem oft so dicht ist, wo ich doch eh die choices reduziere wo geht. es stört mich ja auch gar nicht (mehr) so mich entscheiden zu müssen, aber egal wie ich entscheide hängt mir doch phasenweise die zunge bis zum boden. egal ob mit oder ohne job, mit oder ohne ausbildung, mit oder ohne kleinkindern. und zudem bringt eine zusätzliche aktivität, wie vor zwei jahren bei mir das musik machen, subjektiv ein weniger an dichtness und ich könnt nicht mal sagen wieso.

paradox of life?

spannend dazu war mal wieder input von frau p., denn sie meint es geht um expansion vs. kontraktion. das wir also während des tages, des jahres, des lebens zeiten brauchen, in denen wir uns ausdehnen, aktiv sind, tun und machen, aber im gegenzug auch zeiten wo wir uns zurückziehen, empfangen, loslassen. hm, klingt nicht so neu wenn ich das hier so hinschreib. alte yin und yang esoterik. trotzdem ist die überlegung überdenkenswert, dass ich vielleicht deshalb immer wieder in der erschöpfung lande, weil ich mir nach dem ausdehnen, wenn der impuls zum loslassen kommt denke, ah, da geht noch was, jetzt bin ich doch grad so schön drin im tun. und dann push ich nochmal. vielleicht hilft deshalb das langsamere tun? weil die kleine stimme, die eh weiß dass jetzt ruhe angesagt ist, mehr zeit hat sich zu rühren? oder ich mehr zeit hab hinzuhören? aber das heißt dann auch, dass sich in einem tag viel weniger ausgeht. und der schweinehund kommt dann ja auch noch dazu, was ist mit dem? kürzlich schrieb ich:

als ich nicht laufen konnte, ist es mir irgendwann gar nicht mehr abgegangen. einmal wieder gelaufen – zack, das bedürfnis ist wieder da.

das ich nicht lache! einmal wieder ausgefallen, zack ist das bedürfnis wieder weg. es kommt zwar manchmal unter der woche, aber montag morgens um acht bin ich grad spitzenmäßig im zurückziehen und loslassen.

unschlüssig,

dein lesterschwein

dichtness reduzieren

liebe hanna,

angewandter barry schwartz macht auf jeden fall glücklich(er), auch wenn dazu manchmal eine ordentliche portion realitätsumdeutung gehört. du nennst das ganz elegant reframing. relativ einfach find ich das ja bei kaufentscheidungen. vegan sein hilft sowieso, wie wir schon festgestellt haben, aber auch bei anderen dingen läßt sich die auswahl ganz gut einschränken.

möbel zum beispiel. die kauf ich eigentlich nur noch gebraucht, meistens über willhaben. such ich etwas seltenes wie kürzlich einen diwan, schau ich in ganz österreich und brauch trotzdem wochen, bis ich einen finde. such ich was gänigeres, wie eine kommode, dann schau ich nur in wien. so bleibt die auswahl immer überschaubar und ich bin glücklich mit der kaufentscheidung, weil es nicht mehr darum geht was ich gewählt hab, sondern dass ich überhaupt etwas gefunden hab.

schwieriger wird es bei gewand, aber da hatte ich die super methode abgelegte kleider von dir aufzutragen. so bin ich zu einigen meiner absoluten lieblingsstücke gekommen. nur jetzt, wo du dir den ganz reduzierten style zugelegt hast, muss ich mir wohl was anderes einfallen lassen.

wirklich schwierig wird es bei der von dir angesprochenen dichtness in der alltags- und lebensgestaltung. was mir da auf jeden fall hilft sind fixpunkte. jeden mittwoch abend trommeln, da fährt die eisenbahn drüber. jeden tag was gutes kochen, und zwar langsam. überhaupt das was ich tu, langsam tun (sehr schwierig, find ich…) außerdem hab ich mich kürzlich entschlossen jedes zweite wochenende an einem tag „nix“ in den kalender zu schreiben und da dann auch tatsächlich nix zu tun. keine freunde treffen, keine konzerte, einfach nix.

städtetripmäßig ist berlin natürlich schon schwierig für die reduktion. hp und mich hat bei unserem zweitägigen berlintrip im september das überangebot an lokalen so überfordert waren, dass wir im endeffekt zweimal hintereinander beim gleichen vietnamesen waren. aber sicher auch deshalb, weil ich eben grundsätzlich wenig lust hab, das bessere zu suchen, wenn ich das gute gefunden hab. wenn du es dir nächstes mal einfacher machen willst, dann fahr doch nach cesky krumlov! hp und ich haben dorthin einen trip im märz geplant. es gibt genau ein vegetarisches lokal und ich glaub auch nicht, das wir in die verlegenheit kommen unsere tage mit partneryoga oder bodyworkshops zu überfüllen. und bei der quartierwahl haben wir auch einen super trick. wir nehmen nur welche mit sauna, das schränkt die auswahl auch ordentlich ein.

vielleicht bedeutet freiheit nach barry schwartz, die freiheit meine auswahlmöglichkeiten auf ein angenehmes maß zu reduzieren? ich glaub auf jeden fall ganz stark daran, dass das anstrengende nicht das wählen an sich, sondern das wählen aus unüberschaubar vielen möglichkeiten ist. am bittersten find ich ja die dichtnessreduktion im sozialen leben. wenn ich nicht dauernd unterwegs sein will heißt das nämlich, dass ich nur meine engsten freunde regelmäßig sehe, und alle anderen selten. das zu akzeptieren find ich den schwierigsten part.

eine super möglichkeit gibt es noch dichtness zu reduzieren: ordentlich essen vor dem ausgehen! (wahnsinn wie ich diesmal die kurve gekriegt hab, oder?) die optimale essenstechnische vorbereitung auf eine wilde ausgehnacht zeichnet sich dadurch aus dass sie

  1. gehaltvoll ist
  2. einfach und schnell in der zubereitung
  3. reste davon am nächsten tag als frühstück herhalten können

tofuspeis

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grundsätzlich wird ein ziegel tofu mit der gabel zerdrückt, angebraten und mit salz, pfeffer und kurkuma gewürzt. varianten gibts davon unendlich viele.

zwiebel, knoblauch, seidentofu (wird sehr eierspeisig), räuchertofu, schwammerl, tomaten (getrocknet oder frisch), rucola, frische kräuter, guacamole

 

veganer leberkäs garniert (z.b. vegavita)

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über deine frage bezüglich veganem essen für unterwegs muss ich noch nachdenken, spontan fällt mir dazu aber schon suppe in der thermoskanne ein. aber dazu mehr ein anderes mal.

alles liebe und bis bald,

dein lesterschwein

die qual der wahl

liebe einzige schwester!

home sweet home. das waren vielleicht dichte tage. berlin. die in einer stadt manifestierte metapher unendlicher möglichkeiten, potentielle aktivität 24/7. heute flug retour, rumgechecke, kommunikationszeug, bis 21.45h vorlesung, morgen prüfung, bachelor-arbeit im endspurt, sachen.

und überhaupt.

hatte ich mir doch so vorgenommen, die berlintage ein bisschen entspannter zu verbringen. mit E. ausgemacht, es wird gechillt! und dann haben wir uns wieder reingestrudelt, jeden tag eine ziemlich gröbere action angerissen, von partneryoga über tättowier-sause bis body-workshop und sachen. adrenalin all over! ohne jetzt ganz ins ich-bin-so-arm-luxusproblemgejammer abzudriften: klar ist das ein lifestyle und eine art von freizeitgestaltung für die ich mich aktiv entschieden habe. aber das ständige rumgechecke, wann wer wo was und dann noch feinkoordination und so simple dinge wie – ubahn oder zu fuß? – und ich krieg schon überforderungszustände. L. meinte dazu bei einem drink in der tante horst, entscheidungsfähigkeit sei auch eine ressourcenfrage. klar – je mehr dichtness, desto überfordert. aber selbst in (frei-)zeiten – quasi „accessible ressources“ – macht mich entscheidungsmuss immer wieder unrund. egal ob städtetrip oder alltagskram. mit jeder wahl entscheidet man sich ja für etwas, und zwangsweise zeitgleich gegen eine unendliche anzahl anderer optionen. und man wird nie wissen ob eine andere wahl nicht doch die bessere gewesen wäre, und in einem paralleluniversum die anderen multiplen hanna’s nicht doch lieber einen apfelstreusel- statt dem schokokuchen, die performancekunst dem betriebswirtschaftlichen kommunikationsstudium und motiv X, Y oder Z der vor 3 tagen tättowierten liegenden acht vorgezogen hätten. end of choice. und dass ich mich jetzt gerade ein wenig über mein tattoo ärgere ist vielleicht ja nur eine art phantomschmerz, weil ich eben keine wahl mehr habe. das ding ist auf meinem handgelenk eingebrannt, und wird mich von jetzt an mein leben lang begleiten. und an diesen moment erinnern. das war ja auch der deal. eigentlich. deine deutung, in all den unendlichen möglichkeiten auch mal auf den punkt zu kommen, trifft wohl’s auch auf – genau diesen – punkt.

aber ich kann mir ja jetzt schlecht jeden entscheidungsprozess unter die haut tackern.

also: reduktion. beispielsweise die entscheidung vor ca. 5 jahren, nur mehr schwarz zu tragen, und etwas später – winkewinke, timoni west – auch nur mehr eine bestimmte kombination an einheitlichen kleidungsstücken. jeden. tag. eine entscheidung, die viele zukünftige entscheidungen erspart.

lange dachte ich, meine entscheidungsunfreudigkeit – gerade in alltagssituationen – sei eine persönliche macke.

und dann, die entdeckung – mein unwille hat einen namen:

the paradox of choice

darüber bin ich erstmals in einem fm4 doppelzimmer mit armin wolf gestolpert. er hat damals barry schwartz und sein diesbezügliches buch zitiert, wonach ein mehr an auswahl nicht ein mehr an glück oder zufriedenheit impliziert – sondern vielmehr das gegenteil. ich hab dir das ja auch geschenkt wenn ich mich richtig erinnere – was hältst du von seinem ansatz?

schwartz spricht von paralyse, überhöhten erwartungshaltungen, reduzierten satisfaktions-gefühlen nach getroffenen entscheidungen. von einer metaphorischen fish bowl, die notwendig ist, um eine paralyse durch unendliche möglichkeiten einzugrenzen.

ergo: kontrastrategie veganismus! unsere fish bowl. (ohne fisch.) mit dem vegan-werden noch mal jede menge entscheidungssituationen weg: ob in der gastronomie, beim bäcker oder im supermarkt – große teilbereiche (milchregal!) fallen vollkommen weg. eine wohltat. wenn auch mit mehr auseinandersetzung des eigenen nahrungsaufnahmeverhaltens gekoppelt, um sich nicht automatisch alle tage von weissbrot und vodka zu ernähren (dahlke, ich hör dir trapsen!).

du hast das ja auch in sachen morgensport erwähnt:

eine der verblüffendsten folgen der umstellung auf vegan: viele dinge fallen dann von selber weg, und ich muss mir darüber überhaupt keine gedanken mehr machen. mindetens 90% allen süssjunks, mindestens 90% aller kosmetika, usw. usf. und das entspannt total. ich dachte eigentlich immer vegan leben ist anstrengend. mit dem nicht mehr zur wahl stehen ist das bedürfnis danach dann auch ziemlich schnell weg.

sollten wir vielleicht dem herrn schwarz flüstern. hier noch seine conclusio im o-ton anno 2005:

wie lässt sich die entscheidungs-paralyse vermeiden? oder bewältigen? oder ist es doch die dichtness, die mangelnden ressourcen? oder eh wurscht?

grübelnd
und sich mit taschentüchern und sauscharfer instantsuppe ins bett verkrümelnd,

die hannaschwester

ingwersuppe instant